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22. Augustb2025

  • Autorenbild: Philippe Selot
    Philippe Selot
  • vor 3 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Am Mittwochmittag nahm ich den Zug zum Flughafen Zürich, um Deniz zu überraschen, der seine Ferien in Dersim, im türkischen Kurdistan, verbringt.

 

Beim Check-in erklärte ich, dass ich eine Orthese trage, und fragte, ob es möglich sei, einen Sitz mit mehr Beinfreiheit zu erhalten. Online hatte ich bereits eingecheckt, aber die bequemeren Plätze waren nicht mehr verfügbar. Die Mitarbeiterin von Turkish Airlines war sehr verständnisvoll und hat mir auf beiden Flügen (Zürich–Istanbul und Istanbul–Elazig) Sitze am Notausgang zugeteilt. Absolut perfekt!

 

Sicherheitskontrolle und Passkontrolle verliefen problemlos, und mit der Metro ging es weiter zum Terminal E. Da ich etwas Hunger hatte, kaufte ich mir ein Sandwich und eine kleine Flasche Wasser. Dann der Schock: 19.20 CHF, also über 20 Euro! Für ein völlig ungeniessbares Sandwich – gummiges Brot, fünf Scheiben Trockenfleisch und drei labbrige Salatblätter. Eine reine Abzocke!

 

Der Flug Zürich–Istanbul hingegen war sehr angenehm: Es gab sogar ein Essen, deutlich besser als dieses jämmerliche Sandwich. Bei meiner Ankunft in Istanbul entdeckte ich den gigantischen neuen Flughafen – Erdogans Prestigeprojekt mit einem deutlichen Hang zur Grössenwahnsinnigkeit. Architektonisch allerdings nichts Besonderes. Um zu den Inlandflügen zu gelangen, musste ich durch den Zoll und dann gut 30 Minuten laufen. Für einen neuen Flughafen nicht gerade benutzerfreundlich. Eigentlich hätte ich gerne ein Buggy genommen, doch diese mussten 48 Stunden im Voraus reserviert werden – und waren ohnehin alle besetzt.

 

Am Inlandterminal gönnte ich mir einen Kaffee. Kurz darauf vibrierte mein Telefon: Nachricht über eine 30-minütige Verspätung. Daraus wurden 45 Minuten, dann eine Stunde! Da bereits einen Bus von Elazig nach Dersim gebucht war, machte ich mir Sorgen, ob er warten würde. Ich informierte Alev, die Schwester von Deniz, die diesen Transfer freundlicherweise organisiert hatte. Sie beruhigte mich sofort: Der Chauffeur würde warten, bis alle Passagiere da seien.


Mit über einer Stunde Verspätung landeten wir schliesslich in Elazig. Ich holte mein Gepäck, trat nach draussen und fand den Bus sofort. Wir waren zu fünft und machten uns auf die zweieinhalbstündige Fahrt durch die Nacht. Ich schrieb Alev eine Nachricht, dass alles in Ordnung sei und sie beruhigt schlafen gehen könne. Doch sie antwortete, sie würde erst ins Bett gehen, wenn ich sicher im Hotel angekommen sei. Eine sehr herzliche Geste!

 

Unterwegs wurden wir zweimal von der Polizei kontrolliert. Der Beamte verlangte eine türkische Identitätskarte! Mein Schweizer Pass und meine Identitätskarte erkannte sein System nicht. Seine Haltung erschien mir ziemlich engstirnig, doch zum Glück durften wir am Ende weiterfahren.

 

Da der Chauffeur kein Englisch sprach, nutzte ich die Übersetzungs-App auf meinem Handy, um ihn zu fragen, ob er mich direkt beim Hotel absetzen könnte. Er sagte mit einem Lächeln zu. Um 3.30 Uhr morgens war ich endlich in meinem Zimmer. Die Klimaanlage machte einen Höllenlärm, doch die Müdigkeit überwog, und ich schlief rasch ein.

 

Am nächsten Morgen genoss ich ein traditionelles türkisches Frühstück auf der Terrasse des Hotels mit Blick auf die Stadt und die umliegenden Hügel. Die Region ist sehr gebirgig, und Dersim liegt an den Hängen. Viele Gebäude sind neueren Datums und nicht besonders schön, aber die Berge und der Fluss, der sich durch das Tal schlängelt, verleihen der Gegend einen gewissen Charme.

 

Ich schickte Deniz eine Nachricht: «Kommst du mit mir in die Stadt einen Kaffee trinken?» Er verstand nicht und rief mich sofort an. Als ich ihm sagte, dass ich in Dersim sei, glaubte er mir nicht. Erst als seine Schwester mithörte und es bestätigte, merkte er, dass es stimmte. Was für eine Überraschung!

 

Später trafen wir uns im Hotel. Wir tranken einen Kaffee, spazierten durch die Stadt und nahmen einen kleinen Imbiss. Danach fuhren wir mit einem Lokalbus zu seiner Familie, in ein kleines Café, das von einer Cousine betrieben wird. Dort lernte ich endlich alle kennen: Alev begrüsste mich mit einem Blumenstrauss, und ich machte Bekanntschaft mit seiner Mutter, seinem Bruder, seinen Tanten, Cousinen und Nachbarn. Eine ausgesprochen herzliche Atmosphäre, trotz der Sprachbarriere.

  

Ein Nachbar sprach die beiden Themen an, die ich im Ausland immer zu vermeiden versuche: Religion und Politik. Er erzählte mir, dass die Regierung den Bau einer neuen Moschee plane – ein Projekt, das hier sehr schlecht ankommt.

 

In Dersim sind die meisten Kurden Aleviten. Die einzigen Sunniten sind die von Ankara entsandten Beamten: Polizisten, Lehrer, Verwaltungsangestellte… Die Spaltung ist deutlich spürbar, beide Gruppen bleiben weitgehend unter sich. Bei meinen Spaziergängen fiel mir auf, dass die meisten Frauen westliche Kleidung tragen und sich mit derselben Selbstsicherheit bewegen wie Frauen in Europa. Nur sehr wenige tragen das Kopftuch.

  

Hier wird Erdogans Politik, die kurdische Kultur auszulöschen, besonders sichtbar: Sprache verboten, Traditionen verdrängt, Identität bedroht. Dennoch muss man betonen, dass die kurdische Kultur nicht einheitlich ist. Ursprünglich aus dem Iran stammend, leben die Kurden heute in der Türkei, im Iran, im Irak und in Syrien, und je nach Region sind sie sunnitische Muslime, Aleviten oder Jesiden.

 

Übrigens: Dersim ist der kurdische Name und Tunceli ist der türkische!

 

ree


 
 
 

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